Österreichische Akademie für Psychologen | ÖAP

Psychische Gesundheit in Österreich: Aktuelle Studie zeigt großen Handlungsbedarf

01.07.2020 | Öffentlichkeitsarbeit

39% leiden oder litten unter einer psychischen Erkrankung, aber: Mehrheit kann sich notwendige Behandlung nicht leisten

Bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte Österreich bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen massiven Aufholbedarf. Die aktuelle Krise hat diese Situation noch weiter verschärft und stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor völlig neue Herausforderungen.

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des Gesundheitsministers Rudolf Anschober und des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP) wurde heute die Studie „Psychische Gesundheit in Österreich“ präsentiert (repräsentative Online-Umfrage, 1.000 befragte Personen zwischen 16 – 69 Jahren, Untersuchungszeitraum: 2.3. – 17.3.2020).

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Detail:

39% der Menschen in Österreich waren in der Vergangenheit oder sind aktuell von einer psychischen Erkrankung betroffen.

  • Nicht einmal drei Viertel der Befragten (63%) würden Familie/FreundInnen von einer psychischen Erkrankung erzählen, nur 21% ArbeitskollegInnen.
  • Nur 13% der Befragten sind mit der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr zufrieden.
  • Lediglich 10% sind der Ansicht, dass psychisch erkrankten Menschen in Österreich ausreichend geholfen wird.
  • Nur 31% glauben, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ebenso viel Unterstützung bekommen wie Menschen mit körperlichen Erkrankungen.
  • Für 65% der Menschen wäre eine notwendige Behandlung einer psychischen Erkrankung nicht finanzierbar.

„Die Studienergebnisse sind erschütternd und zeigen den enormen Aufholbedarf bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Österreich“, erklärte a. o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichsicher PsychologInnen (BÖP), im Gesundheitsministerium.

„Wir haben nach wie vor Lücken in der Behandlung, vor allem was den Zugang und die finanziellen Hürden betrifft“, so Gesundheitsminister Rudolf Anschober bei der heutigen Studienpräsentation. „Wir müssen ernst machen, diese Lücken zu schließen und zu handeln, so dass es für jeden Betroffenen einen entsprechenden finanzierbaren, leistbaren Zugang zur Behandlung und zur Unterstützung gibt.“

„Psychische Krankheiten sind immer noch ein Tabuthema. Nicht einmal drei Viertel der Befragten würden den engsten Vertrauten von ihrer psychischen Krankheit erzählen“, so Studienautorin Dr.in Sophie Karmasin (Karmasin Research & Identity). Dabei sind die Entstigmatisierung und die Behandlung von psychischen Erkrankungen existenziell notwendig. „Ich bin privilegiert genug, dass ich mir privat Hilfe holen konnte. Dies kann aber nicht jeder und das muss sich ändern“, hielt auch die Bloggerin und Betroffene Leonie-Rachel Soyel bei der Pressekonferenz fest.

Die aktuelle Versorgungssituation in Österreich ist derzeit geprägt von fehlenden Behandlungsplätzen (vor allem auf Krankenkasse) im niedergelassenen Bereich, monatelangen Wartezeiten, Transferproblemen vom stationären zum niedergelassenen Bereich und hohen Kosten privater Behandlungen.

„Es braucht nun drei Dinge“, fasst BÖP-Präsidentin a. o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger zusammen: „Erstens müssen psychische Erkrankungen stärker in den Fokus gerückt und mehr Wissen über psychische Erkrankungen verbreitet werden. Zweitens muss psychische Behandlung für jede/n leistbar sein. Und drittens müssen wir psychische Versorgung in Österreich neu denken und dazu gehört auch, dass die Psychologische Therapie endlich auch Kassenleistung wird!“ Derzeit müssen Betroffene im Gegensatz zur Psychotherapie die Kosten für Psychologische Therapie (klinisch-psychologische Behandlung) zu 100% selbst zahlen und erhalten auch keine Rückerstattung.

„Wichtige, hochqualitative Psychologische Therapie muss allen, die sie brauchen zugänglich sein und darf nicht von der Geldbörse der Betroffenen abhängen!“ hält a. o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger fest. Eine aktuelle Petition mit dieser Forderung wird bereits von mehr als 30.000 Menschen unterstützt!